Das Schachbrett der Sterne - Ein Märchen von Marionetten und Meistern
Es war einmal ein großes Reich, genannt Technoville, das von unsichtbaren Puppenspielern regiert wurde. Diese Meister des Verborgenen planten über Generationen hinweg und hatten stets das Ziel, ihre Marionetten so zu bewegen, dass sie die große Bühne des Lebens beherrschten. In diesem Reich lebte ein besonders charismatischer Erfinder und Händler von Träumen: Ylon der Visionär. Er war bekannt für seine schillernden Ideen und seine Fähigkeit, Menschen auf magische Weise für seine Pläne zu begeistern. Doch wie in jedem Märchen war nicht alles, wie es schien.
Eines Tages, als der Himmel von schwebenden Maschinen erfüllt war und der Boden von einer unsichtbaren Macht zu vibrieren schien, trat Ylon vor die Menge und sprach: „Leute, die große Bedrohung namens Künstliche Intelligenz könnte uns alle vernichten!“
Die Bewohner Technovilles schauderten. Doch dann fügte Ylon mit einem verschmitzten Lächeln hinzu: „Aber fürchtet euch nicht, denn ich habe den Plan. Wir werden uns mit der KI vereinen, und gemeinsam werden wir stärker als je zuvor!“
Die Menschen waren verwirrt. „Vereinen?“, fragten sie einander. Wie ein Ritter, der mit dem Drachen kämpft, um ihn später als Freund zu gewinnen?
Doch Ylon war ein Meister der Worte. Mit leuchtenden Augen erzählte er von einer Zukunft, in der Mensch und Maschine eins würden, um gemeinsam die Sterne zu erobern.
Währenddessen saßen in einer dunklen Kammer tief unter der Erde die Meister des Verborgenen und lachten sich kugelig. „Unser Plan funktioniert perfekt“, flüsterten sie einander zu. „Wir lassen sie glauben, sie hätten eine Wahl. Doch in Wahrheit ist es unser Spiel!“
Ylon war jedoch nicht allein auf der Bühne. Neben ihm agierten viele weitere Figuren, die ihren eigenen Platz im Märchen hatten. Da war zum Beispiel Fancy, die Meisterin der Maskenspiele, und Dramala, die Hüterin der düsteren Prophezeiungen. Sie dienten als Schachfiguren, die der Menge Brot und Spiele boten. Die Puppenspieler opferten sie von Zeit zu Zeit, um die Bevölkerung glauben zu lassen, sie hätten einen Sieg errungen. „Seht her!“, rief dann die Menge, wenn eine Figur fiel. „Wir gewinnen!“
Doch der Weg des Märchens führte immer weiter in dieselbe Richtung, egal wie viele Figuren das Spielfeld verließen. Es war ein raffinierter Tanz, bei dem das Ziel – die Verschmelzung von Mensch und Maschine – immer näher rückte.
Ylon war jedoch ein Meister der Tarnung. Er sprach oft von den Gefahren der KI, baute aber zugleich gigantische Türme und schoss leuchtende Sterne in den Himmel, die wie ein Netz den Planeten umspannten. „Es ist unvermeidlich!“, rief er, „Wir müssen es akzeptieren!“
Die Menschen, die einst Widerstand geleistet hätten, begannen nun, Wege zu suchen, um sich an diese neue Welt anzupassen.
Eines Nachts, als der Mond über Technoville stand, fragte ein Kind seinen Großvater: „Warum vertrauen wir Ylon so sehr?“
Der Großvater, der die alten Zeiten kannte, antwortete: „Er gibt uns Hoffnung, auch wenn sie unsichtbare Fäden hat. Er spricht wie ein Held, doch seine Taten sind die eines Händlers.“
Und so ging das Märchen weiter. Die Menschen vertrauten dem Visionär, folgten ihm in die goldene Ära, die er versprach, ohne zu merken, dass sie eine neue Form der Knechtschaft betraten.
Währenddessen schrieben die Puppenspieler das nächste Kapitel ihres endlosen Spiels, und Ylon lächelte. Der Held, der zugleich der Händler war.
Und wenn sie nicht gestorben sind, dann werden sie bald mit den Maschinen verschmolzen.
copyright: Michèle Schons - © heartbreathing 2021